EMDR – Weiterbildung
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing – Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen.
Es handelt sich hierbei um eine hochwirksame psychotherapeutische Methode, deren zentrales Element eine bilaterale Hemisphären-Stimulation (wechselseitige Stimulation beider Gehirnhälften) ist. Eine zukunftsweisende Intervention, die, professionell und mit Genauigkeit ausgeführt, die Handlungskompetenz und das Behandlungsspektrum eines Therapeuten entscheidend erweitern kann.
(der folgende Text ist urheberrechtlich geschützt. Er entstammt dem Werk: Christoph Mahr (2018) Praxishandbuch Integrative Psychotherapie. Ein methodenorientiertes und wegweidendes Grundlagenwerk. Heidelberg: Springer.)
EMDR ist ein in acht Phasen verlaufender Therapieprozess, in dessen Mittelpunkt traditionell die Bewegungen der Augen des Klienten stehen. Dieser folgt in der Bearbeitungsphase mit seinen Augen den Fingern beziehungsweise der Hand seines Therapeuten, welche sich abwechselnd von rechts nach links bewegt. Diese Stimulationen unterstützen das Gehirn dabei, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren und belastende Erinnerungen zu verarbeiten. Die provozierten bilateralen Augenbewegungen sind mit denen des REM-Schlafes (Rapid Eye Movement) vergleichbar, bei dem es jede Nacht mehrmals hinter den geschlossenen Lidern zu schnellen Bewegungen der Augen kommt.
Als im Jahre 1987 der Wirkmechanismus der bilateralen Hemisphären-Stimulation von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro (*1948) entdeckt und folgend von ihr zur Methode weiterentwickelt wurde, waren die Augenbewegungen (EM = Eye Movement) das hervorstechende Merkmal, das letztlich auch den Ausschlag zur Namensgebung gab. Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, dass taktile Stimulationen – so genanntes Tapping – und auditive Stimulationen gleichermaßen zu guten Ergebnissen führen.
EMDR – eine Zeitenwende in der Historie der Psychotherapie
Dass Psychotherapie keine abgeschlossene Wissenschaft ist, sondern ein fortdauernder Entwicklungsprozess, wird insbesondere an der Geschichte des EMDR deutlich. Shapiro beschritt bei der Entwicklung des EMDR einen völlig neuen, sehr innovativen Weg, der zunächst von verschiedenen traditionell arbeitenden Therapeuten kritisch betrachtet oder sogar belächelt wurde. Es gab zu jener Zeit keinen Therapieansatz, der sich als Vorform dieser Methode verstehen ließe – keine andere bereits existierende Therapiemethode, von der das EMDR in irgendeiner Form abgeleitet werden konnte.
Der Prozess, der mit dem Nachweis begann, dass bilaterale Augenbewegungen Menschen helfen können, traumatische Empfindungen und Emotionen sowie mit ihnen verbundene Attribute schnell und effektiv zu verarbeiten, war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der Erforschung neuer Möglichkeiten, Menschen bei der Befreiung aus der Macht der Vergangenheit zu helfen (van der Kolk 2003, S. 109).
Mittlerweile liegen über EMDR als Behandlungsmethode psychischer Traumata – bezogen auf den Zeitraum 1990 bis 2015 – mehr kontrollierte klinische Studien vor, als zu jeder anderen psychotherapeutischen Behandlungsform. Die Ergebnisse dieser Studien sind alle derart beeindruckend, dass die Entwicklerin zahlreiche Auszeichnungen erhielt und die EMDR-Methode von vielen Gremien anerkannt wurde. Im Jahre 2013 erfolgte dann durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Anerkennung als wirksame Methode zur Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen. Nationale Bestätigungen folgten, und so wird das EMDR – welches in Deutschland bereits 2006 vom Beirat für Psychotherapie zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung wissenschaftlich anerkannt wurde – seit 2014 im Rahmen eines Richtlinienverfahrens von den gesetzlichen Krankenkassen zur Behandlung einer PTBS bei Erwachsenen bezahlt.
Das Indikationsspektrum von EMDR
In erster Linie wird EMDR zur Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) eingesetzt. Die PTBS mit ihrer spezifischen Symptomatik ist die schwerste, jedoch auch am klarsten fassbare und am eindeutigsten beschriebene Trauma-Folgestörung.
Bei einer PTBS, wie auch bei vielen anderen Störungen, leiden die Betroffenen darunter, dass sich extrem emotionale Ereignisse (Traumata) besonders tief in ihr Gedächtnis eingegraben haben. Bildlich gesprochen ist ein Trauma gleich einer Verdauungsstörung im Gehirn. Shapiro (2013, S. 32) selbst spricht von dysfunktional gespeicherten Erfahrungen, die, wenn ein Trauma mit „großem T“ vorliegt, zu einer PTBS führen. Traumata mit „kleinem t“ hingegen – wie sie in der Kindheit bei nahezu jedem Menschen vorkommen – wirken sich als langanhaltende negative Effekte auf das Ich und die Psyche aus und können in der Folge verschiedene psychische und psychosomatische Krankheiten verursachen. Diesem Modell zufolge basieren viele Psychopathologien auf negativen und unzureichend verarbeiteten Kindheitserlebnissen. So schreibt van der Kolk (2003, S. 84):
Der Prozess, der verhindert, dass Erinnerungen in den riesigen autobiographischen Erinnerungsspeicher eines Menschen integriert werden, ist die Dissoziation – die Unfähigkeit, alle Elemente des Erlebten zu einem kohärenten Ganzen zu vereinen.
Traumatisierungen der unterschiedlichsten Gewichtungen werden nicht selten kompensiert und führen bei den betroffenen Personen sekundär zu Depressionen, Angsterkrankungen, Somatisierungsstörungen und Abhängigkeiten. Die vorgenannten Störungen liefern zugleich auch einen Hinweis auf das große Indikationsspektrum der Behandlungen mit EMDR. Es werden neben der Bearbeitung von Trauma- Folgestörungen unter anderem folgende Indikationen genannt: Anpassungsstörungen, Phobien, Zahnarztangst, depressive Störungen, Angststörungen, Phantomschmerzen, Schmerzstörungen allgemein, psychosomatische Störungen, Allergien, Zwangserkrankungen, Tinnitus und jede Form von belastenden pathogenen Erinnerungen.
In den Händen eines kompetenten und verantwortungsbewussten Therapeuten kann EMDR einen großen Beitrag leisten beim menschlichen Streben nach seelisch- geistiger und körperlicher Gesundheit. EMDR hilft, durch Verarbeitung und Auflösung verschiedener Komponenten – wie belastende Bilder, Gefühle, Kognitionen und Körperempfindungen –, einschränkende Erfahrungen in den autobiografischen Erinnerungsspeicher zu integrieren und diese eventuell nachträglich sogar zu einer sich positiv auswirkenden Wachstums- und Entwicklungsstufe zu wandeln.
Wenn ich auf mein Unglück trete, stehe ich höher (Friedrich Hölderlin).
Termin folgt